Die deutsche Medien-Matrix

Die deutsche Lügenpresse handelt den Relotius-Skandal eher geschäftsmäßig ab. „Das Nachrichtenmagazin ,Spiegel‘ recherchierte in eigener Sache und kam einem betrügerischen Reporter auf die Spur“, schreibt etwa Jan Sternberg in der Frankfurter Rundschau am 20.12.18 über die größte Medienaffäre seit dem Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher des Stern im Jahr 1983. Die Rundschau ist zufrieden: „Einhelliges Lob bekommt das Magazin für seinen Umgang mit dem Skandal im eigenen Haus. Chefredakteur Ullrich Fichtner verspricht Aufarbeitung und findet sehr selbstkritische Worte: ,Der Fall Relotius legt offen, dass wir unseren Ansprüchen nicht gerecht geworden sind.“ Wenigstens Hansjörg Müller kommentiert in der Neuen Zürcher Zeitung Fichtners Aufklärtungsbemühungen deutlicher: Sie ähnelten „in ihrem Gestus eher einer Enthüllungsreportage als einer Hausmitteilung. Der Ironie, die darin liegt, war sich Fichtner offenbar nicht bewusst: Selbst in seiner öffentlich zelebrierten Zerknirschung schien es ihm noch wichtig zu sein, mit einer guten Geschichte zu glänzen.“

Damit ist der entscheidende Hinweis gegeben. Die deutsche Lücken-, Lügen und Systempresse will schnellstmöglich zur Tagesordnung übergehen. Was soll’s auch? Einer wurde erwischt, die anderen können weitermachen. Welche Bedeutung der Spiegel für den politisch-medialen Komplex hat, wird total ausgeblendet. Von Lügenpresse dürfen wir entsprechende Aufklärung nicht erwarten, eine Enquete-Kommission, die den Einfluss der „Leitmedien“ von Spiegel bis SZ auf andere Medien und besonders auf das Fernsehen untersucht, wird es mit Sicherheit nicht geben. Die Medienkonsumenten sollen nie erfahren, dass die ihnen berichtete angebliche Realität in Wirklichkeit in Hamburger Redaktionsstuben erzeugt wurde. Wer sich auf ARD, ZDF, Spiegel, SZ und Co. verläßt, lebt wie in einer Matrix. Das gilt auch für die politische Klasse. Der ein oder andere CDU- und Merkel-Werbespruch wie der von dem Land, in dem wir so gut und gerne leben, wäre ohne diese Matrix nicht vorstellbar.

Einen sehr schönen Beleg über die Leitfunktion des Spiegel liefert uns (unfreiwillig) Stefan Raue, der Intendant des Deutschlandradios, ausgerechnet im Spiegel (11.11.2017) und ausgerechnet am Beispiel eines Relotius-Beitrages. Schöner geht es kaum noch:

„Ein Montagabend in Bonn. Die Medienpreise der Deutschen Bischofskonferenz und der katholischen Publizisten werden vergeben. Prämiert wird eine Reportage von Claas Relotius, die im SPIEGEL erschienen ist. Eine packende, präzise und im besten Sinne empathische Reportage über zwei Geschwister aus Aleppo, die nach der Flucht in der Türkei gestrandet sind und dort 300 Kilometer voneinander entfernt für einen Hungerlohn ihr Leben fristen. Eine Schauspielerin trägt den bewegenden Text vor, der traumhaft sicher den Ton trifft, eine schöne und klare Sprache ohne Betroffenheitsfloskeln. Die Laudatorin würdigt zu Recht die Sogwirkung dieses unprätentiösen, aber so trefflichen Textes.“

Heute wissen wir: Alles frei erfunden, alles Inszenierung. Willkommen in der Matrix.

Raue kommt dann auf gelegentlich von siechenden Zeitungen geäußerte Kritik an den mit der Demokratieabgabe gestärkten Staatsmedien zu sprechen:

„Als Zuhörer kommt man ins Grübeln, gerade in diesen hysterischen Monaten, in denen es scheinbar um die Zukunft der Printverlage und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geht. In Zeiten, in denen alle seriösen Medien unter dem Trommelfeuer der ,Lügenpresse‘-Schreihälse weiter ihrer Arbeit und ihrer Aufgabe nachgehen müssen… Das alles schießt einem durch den Kopf, wenn man sich mit so einer einzigartig guten Reportage beschäftigt und spürt, welchen hohen Wert seriöse, sensible, elegante, empathische, präzise und verständliche Angebote der Qualitätsmedien in sich tragen. Relevant und schön, wichtig und auch unterhaltsam, auf ganz besondere Weise.“

Ist es nicht herrlich, wie Raue diesem Spiegel-Lügner schmeichelt? Dessen Lügen sind „relevant und schön“?

Raue wird noch besser:

„Das ist keine Einzelmeinung eines Journalisten, der vor Kurzem Intendant geworden ist. Das Hohelied der gedruckten Reportage wird von fast allen Kolleginnen und Kollegen der Öffentlich-Rechtlichen gesungen. Ohne Übertreibung: Es gibt keine größeren Fans der deutschen Qualitätszeitungen und -zeitschriften als die Mitarbeiter von ARD, Deutschlandradio, ZDF und Co. Überspitzt: Wenn ich mir die Abo-Listen der Redaktionen anschaue, frage ich mich manchmal, wer noch Zeitungen lesen wird, wenn es die Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr geben sollte.“

Damit gibt Raue zu, dass vom Staatsfernsehen und -rundfunk letztlich nur die gedruckte Hamburger Matrix elektronisch umgesetzt wird. „Wie viele Themen saugen wir täglich aus den Zeitungen?“, fragt er sogar wörtlich. Einige Folgen dieses „Saugens“ waren in der Vergangenheit das Herunterspielen der Kölner Silvesternacht und die hysterische Berichterstattung über Chemnitz.

Mit dem Fall Relotius ist die Matrix als Scheinwelt entlarvt.

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4 Antworten zu Die deutsche Medien-Matrix

  1. Klaus Bitzer schreibt:

    Toller Artikel, vielen Dank!

    Ist jetzt schon 10 Jahre her, da betrieb ich das blog „gekaufte presse“ mit den schönsten Absurditäten von Spiegel und Süddeutschem Beobachter, zum Beispiel der Artikel „Riesige Selbstmord Palme entdeckt“ auf Spiegel online 18.1.2008, oder den genialen Titel „Wo Vulkane knutschen“, Spiegel online, 3.1.2008. Ich gab es dann angesichts der Masse an Schwachsinn irgendwann auf, dies noch weiter zu kommentieren, zumal es schien, als sei ich der einzige, dem dies auffiel. Ich glaubte, dass die mainstream Presse schon bald an der Menge an geballtem Schwachsinn und Lügen ersticken würde. Es kam anders, sie leben immer noch und auch dieses neueste Skandälchen werden sie überleben. „In the end everybody accepts the propaganda which fits with their own belief systems. And this is, where critical thinking ends.“ So ist das bei den Autoren als auch bei den Konsumenten. Der spanische Regisseur Jose Luis Berlanga hat seine Konsequenz daraus einmal genial so formuliert: „Yo he dicho siempre que esta sociedad era una mierda pero, por desgracia, mi cine y yo navegamos en el barco de esta sociedad. Puede que no sepa dar un golpe de timón a este barco pero, por si acaso, lo que hago es mear siempre en el mismo sitio, a ver si abro un agujero por el que se termine hundiendo el barco.“ Mehr kann man wohl nicht machen, aber dem grossen reset kommt man damit nur sehr langsam näher.

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  4. Rolf Amann schreibt:

    Das hört sich an, als wollte Raue den „darbenden“ Spiegel, nebst anderen Magazinen und Zeitungen, demnächst für eine Demokratie(zwangs)abgabe vorschlagen.
    Das hätte den angenehmen Nebeneffekt, dass man ohne eigene Recherchemühe weiter, „…..seriöse, sensible, elegante, empathische, präzise und verständliche Angebote der Qualitätsmedien…… “ weiterverbreiten kann. Lügengeschichten, die
    „…….relevant und schön, wichtig und auch unterhaltsam…..“ sind und dem Wunsch der Regierungsparteien entsprechen, betreutes Denken zu fördern!

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